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Mit Touristenphobie auf Wählerfang

Der Konfetti-Regen war nicht freundlich gemeint. Ende Juli stürmte eine Gruppe junger Aktivisten ein Restaurant am Hafen von Palma de Mallorca, das bei Urlaubern besonders beliebt ist. Sie hielten ein Plakat mit der Aufschrift: „Der Tourismus tötet Mallorca.“ Die Restaurantgäste kamen mit dem Schrecken davon, wie auch die Jachtbesitzer, vor deren Booten die Mitglieder der linksradikalen Jugendgruppe „Arran“ später bengalisches Feuer entzündeten. Massentourismus führe zu „prekären Arbeitsbedingungen, der Vertreibung der Bewohner, überfüllten Straßen, dem Ende traditioneller Läden und der Öffnung von Geschäften für Touristen“, teilte die Gruppe mit, die bisher vor allem in Katalonien aktiv ist und sich für die Unabhängigkeit ihrer Region einsetzt.

In Barcelona hatten einige der linken Aktivisten Ende Juli mit Kapuzen vermummt und Messern in den Händen im Stadtzentrum unweit des Camp-Nou-Stadions einen Touristenbus gestoppt. Sie zerstachen die Reifen und hinterließen auf der Windschutzscheibe die Worte „Tourismus zerstört die Stadtviertel“. Einige der ausländischen Fahrgäste fürchteten zunächst, Terroristen wollten einen Anschlag auf sie verüben. Andere Aktivisten schlitzten die Räder von Leihfahrrädern auf oder verklebten die Schlösser von Gepäckschließfächern. An beliebten Aussichtspunkten wie dem Güell-Park oberhalb der Stadt sind Graffiti wie „Touristen: Eure Luxusreise bedeutet für mich tägliches Leiden“ an Wände gesprüht. Ähnlich scheinen auch die Menschen im Norden zu denken, die in der baskischen Regionalhauptstadt Vitoria am Montag gegen den ungebremsten Zustrom von Touristen demonstrierten, der jedes Jahr zunimmt.

Nicht weit von den Urlauberstränden Mallorcas entfernt, ging jetzt der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy zur politischen Gegenoffensive über. An der Seite von Felipe VI. appellierte er vor dem Marivent-Palast in Palma, wo die spanische Königsfamilie traditionell ihre Sommerferien verbringt, an die Spanier, wieder zur Vernunft zu kommen. Man müsse die Touristen ja nicht mit Willkommensplakaten begrüßen, aber auch nicht mit Fußtritten, sagte der konservative Regierungschef und reagierte damit auf den wachsenden Unmut über die Zahl der Urlauber im Land. In der spanischen Presse ist von einer beginnenden „Tourismusphobie“ die Rede.

Jeder Fünfte arbeitet in der Tourismus-Branche

Nach den jüngsten Aktionen empfiehlt Rajoy, den ausländischen Gästen mit Freundlichkeit und Aufmerksamkeit zu begegnen – auch aus eigenem Interesse, denn der Tourismus sei für die spanische Wirtschaft sehr wichtig. Gut 2,5 Millionen Arbeitsplätze hängen nach Angaben des Ministerpräsidenten davon ab. Das sind 13 Prozent aller spanischen Beschäftigten; in Katalonien arbeitet sogar jeder Fünfte in dieser Branche. In der ersten Jahreshälfte nahm die Zahl der ausländischen Urlauber im Vergleich zu 2016 um fast zwölf Prozent zu. Mehr als 36 Millionen Touristen kamen schon, bis Dezember könnten es 84 Millionen werden. So viele haben das Land mit seinen 46 Millionen Einwohnern noch nie besucht.

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So deutlich wie Rajoy wurden katalanische Politiker bisher nicht. Die katalanische Regionalregierung ist auf die Unterstützung der linksradikalen „Liste der Volksunion“ (CUP) angewiesen, der wiederum die Jugendorganisation Arran nahesteht, die für die jüngsten Aktionen verantwortlich war. CUP-Politiker fordern die Stadtverwaltung von Barcelona auf, Hotels, Sporthäfen und Freizeitparks zu enteignen sowie Internetportale wie Airbnb zu verbieten, die Privatunterkünfte vermitteln. Der Einfluss der kleinen CUP-Partei ist nicht groß genug, um diese Ziele durchzusetzen. Aber die katalanische Regionalregierung braucht die CUP als politischen Partner, um am 1. Oktober das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens abzuhalten, das die Zentralregierung in Madrid verhindern will.

Einen eigenen Eindruck von dem erbitterten Streit über die katalanische Unabhängigkeit erhielten entnervte Flugreisende am Flughafen von El Prat in Barcelona. Dort streiken seit mehreren Tagen Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, um gegen ihre Arbeitsbedingungen zu protestieren. Mitglieder der separatistischen „Katalanischen Nationalversammlung“ (ANC) verteilten am Montag Handzettel. Unter der Überschrift „Sí“ (Ja) hieß es, dass es in einem unabhängigen Katalonien künftig nicht mehr zu solchen Streiks und langen Wartezeiten kommen werde. Denn dann werde die Regierung in Madrid am Flughafen von Barcelona nichts mehr zu sagen haben.

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