Manche Fragen sind schon sehr lange nicht mehr gestellt worden, zum Beispiel diese: Ist es sicher, nach Spanien zu fahren? Vor allem die Deutschen haben in den vergangenen Jahren ihre Ferien dort verbracht, mehr als elf Millionen waren es allein 2016. Mit großem Abstand ist Spanien inzwischen das Lieblingsreiseland deutscher Urlauber, weit vor Italien. Und die Zahl ist zuletzt noch immer gestiegen.
In der touristischen Weltrangliste belegt Spanien Platz drei hinter Frankreich und den USA. Vor allem die Metropole Barcelona gilt mit acht Millionen internationalen Gästen pro Jahr als Besuchermagnet. Doch wird das nach dem Terroranschlag auf der Rambla so bleiben? Die Frage nach der Sicherheit stellt sich nun plötzlich auch für Spanien, der Terrorismus könnte das Reiseverhalten europaweit verändern.
Ironischerweise war es gerade Spanien, das zuletzt besonders von Krisen und Attentaten in anderen Ländern profitiert hatte, in Tunesien etwa, Ägypten und besonders der Türkei. Von dort hielten sich viele Urlauber 2015 und 2016 fern, das brachte der iberischen Halbinsel noch mehr Reisende an die Strände als ohnehin schon. Die Zahl der Buchungen stieg stetig, belegen die Zahlen des Deutschen Reiseverbands (DRV).
In der Türkei dagegen zeigte sich die Zurückhaltung am deutlichsten: Während 2015 noch 5,6 Millionen Deutsche die Türkei bereisten und sie zum drittbeliebtesten Reiseland machten, waren es 2016 nach den Bomben in Istanbul und den Entwicklungen nach dem gescheiterten Putschversuch nur noch vier Millionen Urlauber. Das sagen die Zahlen.
"Teilweise Verlagerung der Urlaubsströme"
Der Reiseverband will den Schwund allerdings nicht als größere Bewegung sehen, schon gar nicht als dauerhafte Abwanderung. Von einer "teilweisen Verlagerung der Urlaubsströme" spricht DRV-Präsident Norbert Fiebig lediglich. Auch das Wort Terrorismus nimmt man beim DRV lieber nicht in den Mund. Der Eindruck, es habe massive Anschläge gegeben und größere Urlauberzurückhaltung, sei so nicht richtig. Auch nicht in der Türkei.
Schließlich entwickelten sich die Zahlen der deutschen Reiseveranstalter überall wieder positiv. Spanien lege sowieso seit Jahren bei den Buchungen zu, unabhängig von den Krisen anderswo. Und selbst in Tunesien verzeichneten die deutschen Veranstalter wieder mehr Buchungen als zuvor, sagt der DRV.
Haben Touristen wirklich so ein kurzes Gedächtnis? "Touristen sind zwar vergesslich", sagt Tim Krieger, der an der Universität Freiburg die finanziellen Folgen des Terrorismus auch im Tourismus erforscht. Gleichwohl nähmen die Reisenden solche Anschläge äußerst ernst: "Bereits seit den 1970er Jahren lassen sich die Ausweichreaktionen von Touristen nach Terroranschlägen im Mittelmeerraum gut beobachten."
Muss sich Spanien auf weniger Urlauber einstellen?
Längere Zeit sei es in den östlichen Mittelmeerländern und Nordafrika ruhig gewesen, sagt Krieger, deshalb gewannen sie viele Besucher aus teureren Urlaubsländern wie Spanien hinzu: "Sobald die günstigen Länder jedoch unruhiger wurden, gab es schnelle Rückverlagerungen in Richtung Spanien, Italien und Frankreich. Die aktuellen Besucherrekorde in Spanien hängen daher in der Tat eng mit fehlenden Alternativen – aus Touristensicht – in der Türkei, Tunesien oder Ägypten zusammen."
Muss sich Spanien nach dem Anschlag nun also auch darauf einstellen, dass künftig viele Urlauber wegbleiben? "Barcelona wird aus der Sicht normaler Touristen unattraktiver, weil das Risiko erhöht erscheint", sagt Ökonomieprofessor Krieger, "dies dürfte vor allem bei Nichteuropäern spürbar sein, die ihre Reisenrouten in Europa ändern werden. Ebenfalls werden europäische Kurzreisende zunächst weniger werden, die zum Beispiel mit Billigfluglinien für ein verlängertes Wochenende in die Stadt kommen wollten."
Der Geschäftsreiseverkehr aber werde sich nicht beeindrucken lassen. Gerade er sei für eine Großstadt wie Barcelona wichtig. Deshalb würden "die Wirkungen des Anschlags bei den typischen Maßen wie Hotelübernachtungen nicht übermäßig stark spürbar sein", sagt Krieger voraus. Und auch nur sehr kurz.
Doch lieber ins Hinterland?
Innerhalb von zwei bis drei Jahren dürfte sich die Sicherheitseinschätzung vieler Urlauber wieder normalisiert haben, schätzt der Experte. Tourismuspsychologe Jürgen Kagelmann pflichtet ihm bei, auch die Anschläge in Paris, London und Berlin hätten das gezeigt: "Falls nicht mehrere Anschläge in Spanien passieren, wird es kaum Einbrüche geben." Der Städtetourismus sei seit etwa 15 Jahren ein so zentrales Motiv für Reisewillige, dass die Faszination der europäischen Metropolen anhalten werde: "Ein Austausch der Orte wie beim Strandurlaub ist da kaum denkbar. Jemand, der Barcelona sehen will, wird jetzt nicht nach Wien fahren", sagt Kagelmann.
Ökonom Krieger hält es dennoch für denkbar, dass weitere Anschläge in Großstädten deutliche Folgen haben könnten: "Barcelona gehört wie Berlin, London oder Paris zu den großen europäischen Touristenzentren. Bei vielen Touristen könnte sich der Eindruck verstärken, dass Terroranschläge in solchen Städten besonders häufig erfolgen." Das passe auch zu den strategischen Überlegungen von Terroristen, die ja auf eine große Anschlagswirkung aus seien: "Somit könnte eine ganze Klasse von Großstädten von sehr risikoscheuen Touristen zukünftig gemieden werden", sagt Krieger. Möglicherweise würden viele Reisende stattdessen künftig eher in mittelgroße Städte fahren oder gleich an die Küste oder zum Wandern ins Hinterland. Wie viele, das lässt sich kaum absehen. Nur sehr wenige Menschen haben jedenfalls aufgrund der unsicheren Weltlage ihren Urlaub ganz aufgeschoben.
Genau das beabsichtigen die Terroristen
Schwerer als die Metropolen haben es die klassischen Badeorte, wenn sie von Anschlägen betroffen sind. Denn während die Anziehungskraft der Großstädte fortbesteht, gelten für Strände und Bettenburgen andere Regeln: "Küste bedeutet Sonne und Strand, und dort macht man als Familie Urlaub. Die Entscheidung, dorthin zu fahren, beinhaltet also immer auch die Verantwortung für die Kinder und kann im Zweifelsfall zu einer vorsichtigeren Einschätzung führen", sagt Psychologe Kagelmann. Außerdem sei mit Anschlägen etwa auf kleinere Küstenorte immer eine tiefere Bedrohung verbunden: "Man sieht, dass die Terroristen vor niemandem zurückschrecken, auch nicht vor einfachen Urlaubern."
Nun sind kleinere Küstenorte zwar weniger häufig Anschlagsziele von Terroristen, weil Attentate mehr Öffentlichkeitswirkung erzielen, wenn sie in Metropolen stattfinden. Doch Krieger erklärt: "Wenn in krisengeschüttelten Ländern Badeorte attackiert werden, dann sind die Touristen dort genau der Grund dafür." Denn ihr Tod errege viel mehr Aufmerksamkeit in den Weltmedien als Anschläge auf die einheimische Bevölkerung, sagt der Experte. "Das bedeutet, dass die Anschlagswahrscheinlichkeit in Scharm al-Scheich höher ist als etwa an der deutschen Ostseeküste. Touristen zu attackieren, ergibt in Ländern wie Ägypten und Tunesien aus Sicht der Terroristen sehr viel Sinn. Denn Touristen sind eine wichtige Einnahmequelle für jene Regierungen, die bekämpft werden sollen. Hinzu kommt, dass bei Badeorten, insbesondere im Nahen Osten, die stabilisierende Wirkung der Geschäftsreisenden entfällt."
Fehlten die Touristen an solchen Destinationen dann über längere Zeit, so Krieger, breche das komplette Wirtschaftsleben zusammen. In der Folge könnten Gesundheits-, Bildungs- oder Infrastruktureinrichtungen nicht mehr bezahlt werden, die Arbeitslosigkeit wachse, die Unzufriedenheit der Bevölkerung auch; das betroffene Land werde zunehmend destabilisiert und noch anfälliger für radikale Strömungen. Genau das beabsichtigen die Terroristen.
Besonders tragisch ist für Krieger in dieser Hinsicht Tunesien: Es sei vor allem deshalb immer wieder zum Anschlagsziel geworden, weil es nach dem Arabischen Frühling ein Vorbild für viele andere hätte werden können. Dafür, wie sich ein islamisches Land den Weg in die Demokratie ebnet.
Fast alles am Urlaub ist austauschbar
Sollten Touristen da nicht gerade in solche Länder reisen – um die Bevölkerung zu unterstützen? Zumal die angeschlagenen Tourismusländer in ihrer Not ja mit Lockangeboten extrem um Touristen buhlen. Eher nicht, findet Psychologe Kagelmann: "In der Türkei, Ägypten und Tunesien versucht man seit geraumer Zeit, das Vertrauen der Urlauber zurückzugewinnen – mit Niedrigstpreisen, die schon unmoralisch sind. Sie bedeuten nichts anderes als die Ausbeutung der Arbeitskräfte in den Hotels dort. Außerdem zieht das nur die spezielle Gruppe der Schnäppchen- und Geiz-ist-geil-Touristen an." Sich da zu erhoffen, solche Angebote trügen zur Rettung der dortigen Wirtschaft bei, erscheint absurd.
Das Grundproblem vieler Tourismusländer ist laut Kagelmann, dass fast alles am Urlaub austauschbar sei: Strände, Hotels und Souvenirs ähnelten sich vielerorts so sehr, dass Feriengäste immer wechselwilliger würden. Sie führen eben dorthin, wo es für ihr Sicherheitsempfinden und ihren Geldbeutel den besten Gegenwert gebe. Das bestätigt übrigens auch der Reiseverband DRV. Er klagt, die Reiseveranstalter könnten – auch unabhängig von Krisen, Kriegen und Katastrophen – immer schwerer planen, wie viele Hotels oder Flüge sie für die nächste Saison benötigen. Neuerdings buchten sie immer kleinere Kontingente im Voraus und orderten lieber Betten nach, wenn klar sei, wohin es die Touristen ziehe.
Spanien jedenfalls werde für viele Urlauber weiterhin attraktiv bleiben, glaubt Ökonom Krieger. Die Alternativen für einen klassischen Mittelmeer-Badeurlaub seien derzeit kaum konkurrenzfähig: "Das östliche Mittelmeer ist ebenso wie Nordafrika aus Sicherheitsgründen aktuell wenig gefragt. Italien ist teuer und leidet unter der Flüchtlingskrise. Frankreich ist ebenfalls sehr teuer. Allenfalls Griechenland ist wieder im Kommen, und Bulgarien könnte eine Option werden. So wird Spanien wohl mit einer überschaubaren Delle davonkommen, sofern nicht weitere Anschläge folgen." Denn einen Anschlag vergessen Touristen offenbar schnell, bei mehreren sieht es anders aus.
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Wie Terrorismus den Tourismus verändert"
Post a Comment