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Tourist: Hau ab!

Es war nur eine Frage der Zeit: In Barcelona und auf Mallorca protestieren diesen Sommer aufgebrachte Einheimische gegen die immer grösser werdende Touristenlawine. Mit Demonstrationen, Sprechchören und Plakaten, auf denen steht: «Tourist, go home.» In Venedig plant man, für den Zugang zur Lagunenstadt Zulassungsbeschränkungen anzuordnen und für den Markusplatz Eintrittskarten zu verkaufen. An Hotspots droht der Tourismus zu explodieren.

Soll keiner sagen, man habe es nicht kommen sehen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg das europäische Wirtschaftswunder begann, wurde aus der Bildungsreise englischer Adliger – der Grand Tour – und dem schwärmerischen Aufbruch der Dichter, Maler und Bildhauer nach Süden eine Massenbewegung. Vorgespurt durch den Laienprediger und Abstinenzler Thomas Cook, der ab 1850 für seine Schäflein Gruppenreisen organisierte – erst in England, bald aber in ganz Europa, vorzugsweise in der Schweiz. Die Gruppenreise war geboren. Und fand vor allem in den Deutschen ihre eifrigsten Anhänger. Neckermann machte es möglich, nachdem die Nazis ihre Volksgenossen durch die kollektiven Erholungsprojekte Kraft durch Freude auf den Geschmack gebracht hatten.

Der grenzen- und schrankenlose Massentourismus aber begann erst in den fünfziger Jahren so richtig. Immer weiter spannte sich der Radius der Feriendestinationen, von der Adria (vom «Spiegel» alsbald als «Teutonengrill» verspottet) bis an die Strände Spaniens, der Türkei und Nordafrikas. Bald war kein noch so exotisches Gebiet vor den organisierten Massen sicher: Afrika, Nepal, Indien, Hawaii, Thailand, Bali, Kambodscha.

Und auch die aussereuropäischen Weltregionen, aus denen die Menschen mit steigendem Wohlstand aufbrachen, multiplizierten sich: Nach den US-Amerikanern kamen die Japaner, die Russen und zuletzt in steigender Zahl die Chinesen. Wenn nur ein zusätzliches Prozent des Milliardenvolks sich auf Reisen begibt, dann ergibt das allein schon – rechne – zehn zusätzliche Millionen von Touristen . . .

Bald waren aber die Spuren des zunehmenden Gebrauchs der Landschaft und der Sehenswürdigkeiten zu erkennen: durch Hoteltürme zubetonierte Strände, übernutzte und verdreckte Landschaften und Kulturdenkmäler, überfüllte Sightseeing-Hotspots, krakeelende Touristengruppen, Verdrängung Einheimischer durch die Vermietung von Zimmern und Wohnungen auf Plattformen wie Airbnb. Letztgenanntes war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und Auslöser der Proteste in Barcelona, auf Mallorca oder in Venedig, wo die Einwohnerzahl von 185 000 inzwischen auf 55 000 gesunken ist. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass bald Proteste an anderen Destinationen folgen werden.

Zwar ist die Tourismusindustrie vielerorts längst zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige geworden. Wies der Tourismus in den fünfziger Jahren weltweit noch weniger als 100 Millionen Franken an Umsätzen auf, so waren es 2016 nach Angaben der Welt-Tourismus-Organisation 1,22 Milliarden Dollar. Doch davon profitieren längst nicht alle, immer mehr Einheimische bekommen die Schattenseiten des Booms zu spüren. In den Strassen von Barcelona und am Strand von Benidorm wird offenkundig, was Prospekte und Reiseplattformen im Internet nie zeigen: die Zerstörung des Tourismus durch den Tourismus, vor der der Berner Touristikprofessor Jost Krippendorf schon vor Jahrzehnten gewarnt hat.

Der Tourismus ist seither eine Einbahnstrasse geblieben, die sich vom Panoramaweg längst zur wenig attraktiven vielspurigen Autobahn ausgeweitet hat. Will man nicht irgendwann gegen eine schwarze Wand donnern, täte man gut daran, sich nach einer Ausfahrt zu erkundigen.

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