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Das nächste Mal Pauschalurlaub

Es gibt diese unangenehmen Momente im Leben, in denen das Selbstbild mit der Realität kollidiert. Wenn man zum Beispiel feststellt, dass der eigene Urlaub auf Kosten derer geht, die man besucht. Oder wenn man hört, dass jene, über die man sich immer lustig gemacht hat, in Wirklichkeit gar nicht so falsch urlauben. Jene also, die wie träge Krokodile in den Poollandschaften ihrer Bettenburgen lagern, auf durchgedrückten Liegestühlen, zu denen sie es nach dem üppigen Frühstücksbuffet gerade so geschafft haben.

Der Pauschalurlauber, der im Sommer für drei Wochen am Stück an die Adria oder auf die Kanaren fliegt, kann eine bessere Klimabilanz vorweisen als der Bildungsbürger, der an vier verlängerten Wochenenden im Jahr nach Stockholm, Barcelona, Tiflis und New York jettet. Der unbedarfte Urlauber ist aber nicht nur verträglicher für das Weltklima als viele Individualtouristen, sondern auch für das jeweilige Urlaubsziel. Der Grund: Er will es nicht unbedingt kennen lernen. 

Er ist zufrieden in seinem autarken Außenposten im Nirgendwo, solange der Krabbensalat frisch ist, das Meeresrauschen über die Ressortmauern weht und über allem die Sonne hängt. Bis auf den kurzen Altstadtausflug mit dem Shuttlebus nutzt der Pauschalurlauber eine eigens für ihn errichtete Infrastruktur. Statt die Gehwege zu verstopfen und die Preise in den Wohngegenden zu versauen, genießt er die frottierte Realitätsflucht mit Vollpension.

Individualtouristen sind ein Problem

Was zynisch klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Immer mehr Städte leiden unter Individualtourismus. Unter den Leuten, die sich doch eigentlich sicher waren, angenehme Gäste zu sein. Das liegt zuerst einmal an den steigenden Besucherzahlen. Der Trend zu Städtetrips hält an, 2016 war wieder ein Rekordjahr. Laut World Travel Monitor hatten 26 Prozent von weltweit insgesamt 1,1 Milliarden Auslandsreisen Metropolen zum Ziel. 

Es liegt aber auch daran, dass es anspruchsvollen Besuchern nicht reicht, die Sehenswürdigkeiten abzugrasen. Sie wollen eintauchen, nachvollziehen wie der local so lebt. Sie wollen den Alltag, obwohl sie wissen, dass das nicht funktionieren kann, weil Urlaub immer Ausnahmezustand ist. Also simulieren sie ihn, was zu einer besonders großen Reibung mit den Einwohnern führt. Denn in der touristischen Alltagssimulation ist es natürlich egal, ob die Flasche Wasser am Kiosk einen Euro teurer ist als im Supermarkt, der kürzlich platt gemacht wurde, damit das schnuckelige Boutiquehotel entstehen kann. Airbnb und Konsorten tun ihr Übriges, um Bewohner und Besucher gegeneinander aufzubringen, weil die Plattformen den Wohnraum in begehrten Stadtteilen zusätzlich verknappen.

Wenn man die Städte und ihre Bewohner wirklich schützen wolle, müsse man die Touristen allesamt nach Benidorm und ähnliche Urlauberhochburgen schicken, sagt der Tourismusforscher Antonio Paolo Russo von der Universität Tarragona. Ganz ernst meint er das nicht, aber seine Sorgen um das soziale Gefüge in den bei Urlaubern beliebten Städten sind ernst. Airbnb, 9flats oder Wimdu seien "wie ein Tumor, der die Immobilienmärkte der großen Städte auffrisst", sagt Russo.

Wohnraum für Einwohner

Weil die Urlauber glücklicherweise immer noch selbst entscheiden dürften, wo sie hinfahren, sei die Herausforderung, die Städte zu schützen. Wohnraum für die Bewohner müsse Priorität haben, sagt Russo. Die neoliberale Tourismuswirtschaft führe dazu, dass ganze Großstädte zu Bettenburgen würden, in denen sich nur noch Touristen und Spekulanten wohlfühlten und es vor allem prekäre Jobs gebe. "Wir leben im Zeitalter der globalen Mobilität. Wenn wir wollen, dass unsere Städte lebendig und bunt bleiben, dann brauchen wir eine ernstzunehmende Städteplanung und Umverteilung." Barcelona gehöre zu den wenigen Städten, wo wirklich etwas getan werde. Die Stadtverwaltung hat etwa Hotelneubauten in der Innenstadt verboten und verlangt Lizenzen von den Eigentümern, die ihre Wohnungen via Airbnb vermieten wollen.

Seit Jahrzehnten erlebt Barcelona den bedeutendsten Besucherzuwachs unter den Metropolen. Vergangenes Jahr zählte man dort 30 Millionen Gäste, darunter viele Tagestouristen, die an Europas größtem Kreuzfahrthafen anlegten, und fast 17 Millionen Übernachtungen. Barcelona ist an die Weltspitze herangerückt und liegt nun gleich hinter den top drei, also Paris, Rom, London. Die Bürgermeisterin, eine ehemalige Hausbesetzerin, wurde vor zwei Jahren für ihre Kampfansage an den überbordenden Tourismus ins Rathaus gewählt. Ihr Slogan: Wir gehen nicht den venezianischen Weg. Was sie damit meinte, verdeutlichen die Zahlen aus der Lagunenstadt. Auf gut 58.000 Venezianer im Stadtzentrum kommen jährlich etwa 30 Millionen Touristen. Ein echtes Venedig gibt es quasi nicht mehr, zumindest in der Hochsaison.

Der Tourist als Feindbild ist Quatsch

Johannes Novy, Metropolenforscher an der Technischen Universität Berlin, sieht die Sache etwas gelassener. Nur wenige Städte litten wirklich unter zu vielen Touristen wie Venedig, Barcelona oder Florenz, sagt er. Eine Stadt wie Berlin dagegen stoße längst nicht an ihre Kapazitätsgrenzen. Dass der Tourismus dort in manchen Stadtteilen als Problem gesehen wird, liege auch daran, dass seine Auswirkungen überschätzt würden.

Tourismus sei bei weitem nicht der einzige Motor von Gentrifizierung und Kommerzialisierung. In den Kneipen der berüchtigten Ausgehmeilen, beispielsweise in Friedrichshain, säßen eben auch viele Berliner aus anderen Bezirken. "Der Tourist als Feindbild ist Quatsch", sagt Novy. "Der Adressat von Protest sollte immer die Politik sein."

In vielen Rathäusern wird Tourismus nämlich nur als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen, um das sich das Stadtmarketing kümmert. Es geht um Übernachtungszahlen und Umsatz, wobei die sozialen Auswirkungen vernachlässigt werden. Tourismus in der Stadt kann aber nur dort nachhaltig erfolgreich sein, wo er auf einem Konzept gründet, das die Anwohner berücksichtigt. Eine Stadtregierung, die keine Tourists go home!-Transparente von den Balkons hängen sehen will, kann nicht darauf verzichten, seine Bürger anzuhören. Es wäre doch schön, wenn sich die Besucher auch außerhalb der Souvenirshops willkommen fühlten.

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