Entspannung, Selbsterfahrung, Erleuchtung: der Trend, sich im Urlaub auch auf eine spirituelle Reise zu begeben, wächst. Zum Beispiel bei einem Trip nach Brasilien. Das aktuelle Wundermittel zur Selbsterkenntnis dort: die Droge Ayahuasca. In Zeremonien gerahmt von Kursen und Seminaren soll sie den Weg zum Sinn des Lebens oder wenigstens zur inneren Balance weisen. Eine, die aus dieser Sehnsucht ein lukratives Geschäft aufgebaut hat, ist Silvia Polivoy.
Ayahuasca ist eine Droge
Die Psychoanalytikerin aus Buenos Aires betreibt in Bahia an der brasilianischen Nordostküste mitten im Urwald ein Retreat Center. Dort bietet sie regelmäßig Seminare an, bei denen die Teilnehmer unter fachkundiger Aufsicht Ayahuasca einnehmen. Dennoch ist Ayahuasca eine Droge, sagt der Drogen- und Präventionsforscher Henrik Jungaberle, der die gesundheitlichen Auswirkungen von Ayahuasca erforscht hat. Er betont, dass diese Pflanze eine psychoaktive Substanz ist, die Erleben und Wahrnehmung stark verändert, ein starkes Psychodelikum, ein Halluzinogen, das zu einer verstärkten Innenschau führt. „Das besondere an Ayahuasca ist“, meint Jungaberle, „dass es hauptsächlich in einem zeremoniellen Kontext verwendet wird. Es ist keine Straßendroge und wird dies durch die Art der Darreichung als Tee oder als Gebräu vermutlich auch nie werden.“
Schon lange untersucht der Wissenschaftler, der am Uni-Klinikum Heidelberg das Suchtpräventionsprogramm REBOUND entwickelt, die Sehnsucht vieler Menschen nach Grenzerfahrungen. Jungaberle kennt den Boom des Ayahuascatourismus: „Dieser Tourismus nimmt inzwischen auch völlig neue Formen an, inklusive einer sehr starken Kommerzialisierung. Man könnte ja sagen, Ayahuasca ist in manchen Kreisen der Mittelschicht so zur neuen Buisinessman Psychedelic geworden. Es sind also zum Teil wohlhabende Menschen, die sich einen Gewinn, eine Veränderung oder Vertiefung ihres Lebens wünschen."
Betreute Arbeit am Ich
Neun Tage dauert ein Retreat in der Regel. In dieser Zeit finden vier so genannte Ayahuasca-Zeremonien statt. Die Teilnehmer dürfen mindestens eine Woche vor den Zeremonien keinen Alkohol oder andere Drogen, kein Salz und Zucker zu sich nehmen und auch keinen Sex haben. Das ist Silvia Polivoy wichtig, denn es geht hier nicht um Vergnügen oder Party, es geht ums Arbeiten am eigenen Ich. Neben den Zeremonien gibt es Gruppen und Einzelgespräche, Yoga, Bindegewebsmassagen, Wandern im Dschungel, Meditationssitzungen, visionäres Malen. Aber für die meisten steht Ayahuasca im Mittelpunkt.
Drogenzeremonie mit rituelle Wurzeln
In sechs luxuriöse Holzbungalows, die versteckt in der Hügellandschaft liegen und alle individuell eingerichtet sind, beherbergt Silvia Polivoy ihre Gäste. Darunter z.B. ein Rechtsanwalt aus Toronto, eine Architektin aus London, ein Pastor und ein Wissenschaftler aus Lettland, eine Verlegerin aus Litauen oder ein Ex-Polizist aus Deutschland. Neugier, ein unverarbeitetes Problem, eine persönliche Lebens -und Sinnkrise, die Beweggründe hierher zu kommen sind so verschieden wie die Gäste.
Am Tag der ersten Zeremonie lassen sich die Seminarteilnehmer von Silvia Polivoy die Ayahuascapflanze zeigen. Eine mächtige Liane von mehr als 20 Metern. Schon vor Tagen hat sie den Ayahuascatrank zubereitet. Das zähflüssige Gebräu, eine Vermischung der Yagepflanze, einer Urwald-Liane, mit den Blättern des Chakrunastrauches wird mehrere Stunden, manchmal Tage, aufgekocht. Ursprünglich stammt Ayahuasca aus dem Amazonasbecken und wurde dort von indigenen Völkern wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden zu rituellen Zwecken eingesetzt. Jesuiten waren die ersten Europäer, die Ayahuasca 1737 in einem Bericht erwähnten. In Brasilien sind Ende des letzten Jahrhunderts die Ayahuasca-Religionen Uniao do Vegetal und Santo Daime entstanden. Ihre Vertreter erreichten, dass die brasilianische Behörde für Drogenpolitik Ayahuasca endgültig von der Liste halluzinogener Drogen strich. In Brasilien darf Ayahuasca ausschließlich für den religiösen Gebrauch, in eingeschränktem Umfang aber auch für therapeutische Zwecke verwendet werden.
Erkenntnis ohne Nachsorge?
Die Aufregung vor der ersten Zeremonie ist groß, denn die Einnahme von Ayahuasca führt bei vielen Teilnehmern dazu, dass sie sich übergeben müssen. Auch die Angst vor dem totalen Kontrollverlust ist zu spüren. Aber die Hoffnung auf innere Erkenntnis, Botschaften für den weiteren Weg, Bewusstseinserweiterung gibt es auch. Siliva Polivoy beruhigt die Gäste, ohne zu beschönigen: „Ayahuasca zeigt dir, was du sehen musst, nicht was du sehen willst. Wenn du nicht willst oder es kontrollieren willst, wird es eine schlechte Reise. Wenn du dich entspannst, wenn du dich auslieferst, wird es ein guter Trip.“ Weil es gefährlich sein kann, wenn man zusätzlich andere Drogen einnimmt, Alkohol oder Medikamente, hält Silvia nie einfach nur Zeremonien ab. Sie besteht auf das ganze Programm: Die Teilnehmer leben im Resort, essen das, was dort zubereitet wird, ohne Möglichkeiten etwas anderes zu tun.
Nach der ersten Zeremonie sind die Reaktionen der Teilnehmer sehr unterschiedlich, schwanken zwischen Verunsicherung und Begeisterung: „Ich habe quasi die Traumlevel durchgemacht: erstes Level die Visualisierung, dann ein paar Botschaften und irgendwann hatte ich ein Level, wo ich meinen Körper verlassen konnte, es war Wahnsinn“ berichtet der ehemalige Polizist. Alle wollen weitermachen und in den nächsten Tagen stellt sich ein starkes Gruppengefühl ein. Am Ende der Woche gibt es viele Vorsätze, Pläne, Euphorie. Aber wer wird die Ayahuascatouristen nach diesem Höhenflug auffangen? Henrik Jungaberle sieht genau darin ein Problem des boomenden Ayahuascatourismus: „Ich habe selbst schon Menschen beobachtet, die aus Ayahuascatzeremonien kamen und psychotisch waren. In diesen touristischen Zeremonien gibt es fast keine Nachsorge, kein System, in dem Menschen ihre Erkenntnisse sichern und umsetzen können, wir nennen das Integration.“
Droge im Graubereich
Ayahuasca bewegt sich in einem Graubereich, kann aber in das in Deutschland gängige Betäubungsmittelgesetz eingeordnet werden. Unter DMT und Hamalin, die illegal sind. Obwohl damit Ayahuasca zu trinken illegal ist, wurde der Konsum bisher kaum verfolgt. Nicht zuletzt weil die Regulierungsbehörden Ayahuasca kaum kennen. So lange Ayahuasca in den meisten Ländern der Welt illegal ist, werden also die Anhänger der Droge weiter nach Brasilien kommen für ihren Trip.
Alle Beiträge der Sendung
- Von wegen kalter Kaffee - Wie Frappé Griechenland eroberte. Von Christina Metallinos
- Ayahuasca-Tourismus in Brasilien - Drogen-Erfahrung im Dschungel. Von Christoph Goldmann
- Weinprobe in Burgund - Was ist dran am Mythos Grand Cru? Von Georg Bayerle
Die Songs der Sendung
- Imam Baildi - Thlipsi
- Dona Onete - No meio do pitiu
Moderation: Bärbel Wossagk
Die komplette Sendung ist im Download-Center nachzuhören.
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