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Ist die von hier?

Woran erkennt man eigentlich einen Touristen? An der Kamera? – Hat doch jeder sein Smartphone dabei. An dem komischen Hut? – Hallo? Normcore! Daran, dass er die Türme der Frauenkirche im Abendlicht fotografiert? – Lokalpatriotismus auf Instagram.

Eine eindeutige Zuordnung gelingt wohl nur noch dann, wenn jemand aus einem Bus mit lustigem Namenszug steigt oder einem Reiseführer hinterhertrottet, der ein Fähnchen in die Höhe reckt. Früher war das einfacher: Touristen benahmen sich anders, irgendwie touristischer. Sie staunten ordentlich, schauten orientierungslos auf windschief auseinandergefaltete Stadtpläne und gingen garantiert in die falschen Läden. Verreisen, zumal über die Grenze, das war ein Ausnahmezustand, der mindestens eine latente Überforderung mit sich brachte. Oder sagen wir es so: Früher war es anderswo noch fremd.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Denn auch die Einheimischen waren anders. Sie fotografierten nicht ständig ihre eigene Stadt, sie fuhren nicht andauernd in andere Bezirke um diesen Burgerladen auszuprobieren oder jene vegane Eisdiele. Sie lasen den Lokalteil und keine Best-of-Blogs. Sie verhielten sich ganz alltäglich – bis sie selbst in den Urlaub fuhren, wo sie entsprechend auftraten: wie Urlauber eben. 

Die Grenze verwischt

Die Grenze zwischen Touristen und Einwohnern verwischt zusehends. Einer, der dieses Phänomen früh erkannte und wirkmächtig beschrieb, war der im vergangenen Jahr verstorbene britische Soziologe John Urry. Von ihm stammt der Ausspruch: "Tourismus ist alles und alles ist Tourimus." Urry beobachtete den gesellschaftlichen Wandel, der mit der wachsenden Mobilität einherging. "Die ganze Welt scheint unterwegs zu sein", sagte er einmal. Und rechnete vor, dass sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt rund 400.000 Menschen im Luftraum über den USA befänden, "eine fliegende Stadt!"

In seinem Buch The Tourist Gaze etablierte Urry 1990 die These vom "touristischen Blick", mit dem Urlauber fremde Städte, Landschaften und Kulturen konsumierten. Es ist eine Kritik an der nimmersatten touristischen Erwartungshaltung, aber auch an ihrem jeweiligen Gegenüber. Denn die Verantwortlichen in Stadtverwaltungen und Fremdenverkehrsämtern ordnen sich diesen Erwartungen nur allzu gern unter: Sie lassen Fassaden herausputzen, Hotels und Erlebnisbäder bauen, zeigen nur das, was glänzt. Die Stadt wird konfektioniert, was wiederum das Bild vom perfekten Urlaubsort prägt. Es ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Urry ging außerdem davon aus, dass die Menschen den touristischen Blick nicht einfach ablegen, wenn sie wieder zu Hause sind. Das im Urlaub gelernte Verhaltensmuster prägt also auch das, was man Alltag nennt. Man will auch zu Hause etwas erleben, und zwar täglich, das Open-Air-Konzert, den Pop-up-Store, die beste Pizza. Die sozialen Medien haben die Eventisierung des Tagtäglichen noch einmal beschleunigt. Man jagt die eigene Stadt durch den Empfehlungsalgorithmus eines Reiseführers, in Urrys Worten: "Die Menschen sind die meiste Zeit Touristen."

Zudem sorgt das Netz dafür, dass der Wissensvorsprung der Einheimischen schwindet. Der Besucher aus Übersee weiß besser Bescheid, was es Neues gibt in der Stadt, als einer, der dort lebt. Statt einen Reiseführer zu lesen, der schon überholt ist, wenn er erscheint, informiert er sich in Echtzeit. Auf Twitter (#Followerpower) lässt er sich ein Craft-Beer-Pub im Londoner Eastend empfehlen, während er schon in der Tube sitzt.

Williamsburg grenzt an Kreuzberg

In der Wissenschaft und im Marketing hat sich der Begriff Post-Tourismus herauskristallisiert, um die Veränderungen zu benennen. In einem Aufsatz heißt es dazu: "Tourismus ist kein temporärer und ungewöhnlicher Zustand mehr in einem Leben, das sich ansonsten zwischen Zuhause und Arbeitsplatz abspielt." Demgegenüber steht der alte, standardisierte (Massen-)Tourismus, der sich durch Pseudo-Events und simulierte Realität auszeichne.

Kopenhagens Fremdenverkehrsamt hat sein Standortmarketing als erstes auf Post-Touristen ausgerichtet. In einem aktuellen Strategiepapier heißt es: "Wir nehmen Abschied von einer Ära, in der Tourismus eine in sich geschlossene Blase war, beherrscht von Kultur- und Freizeitexperten. Wir lassen eine Zeit hinter uns, in denen Tourismusmarketing gleichbedeutend war mit kitschiger Hochglanzwerbung." Was hier etwas überhöht formuliert ist, spiegelt sich ganz konkret auf der Website VisitCopenhagen. Statt der genannten Kitschfotos werden dort Instagrambilder gezeigt, die Touristen und eben auch Einheimische in Kopenhagen geschossen haben. 

Bewohner versus Besucher, das war einmal

Das ist erst einmal eine zeitgemäße Werbestrategie. Im besten Fall kann so eine Kommunikation aber auch dazu beitragen, das Lagerdenken aufzubrechen: Bewohner versus Besucher, das war einmal. Gerade Städte wie Venedig oder Barcelona, wo der Besucheransturm die Nerven der Einheimischen strapaziert, könnten eine post-touristische Ansprache zum Teil eines nachhaltigen Tourismuskonzepts machen.

Für den Stadtforscher Johannes Novy ist die Frage "Tourist oder nicht?" längst irrelevant. Für ihn sind alle, die sich in einer Metropole bewegen, Stadtnutzer, egal woher sie kommen und wie lange sie bleiben. Für immer mehr Menschen sei Sesshaftigkeit einfach nicht mehr die Regel, erklärt Novy, ihre Netzwerke spännen sich über weite Teile des Globus. "Für viele Kreuzberger ist Williamsburg näher als Königs Wusterhausen", sagt er, wohl wissend, dass er zuspitzt, wenn er den New Yorker an den Berliner Stadtteil rückt.

Novy meint jene Menschen, die der Soziologe Ralf Dahrendorf einst als "globale Klasse" bezeichnet hat. Im engeren Sinn umfasst der Begriff diejenigen, die von der Globalisierung profitieren, im weiteren Sinn alle, die so privilegiert sind, dass ihnen die Welt offen steht. Wer reist, muss es sich irgendwie leisten können, das stimmt natürlich. Gleichzeitig, sagt Novy, zeige die Situation in einer Stadt wie Berlin, dass es nicht allen Besuchern finanziell gut gehe. Es kämen auch Südeuropäern, die zu Hause keinen Job gefunden haben. Oder Künstler, weil Berlin eine der wenigen westlichen Metropolen ist, in der man mit recht wenig überleben kann. Vielleicht backen sie nebenbei für ein paar Euro Pizza, führen Hunde aus oder jobben als Umzugshelfer. Manch ein urberliner Malocher würde sich wundern, wie viel sie sich zu erzählen hätten.

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