Achtzehn Jahre war Jürg Schmid der starke Mann von Schweiz Tourismus– der zu starke Mann, meinen nicht wenige. Auf Anfang 2018 macht er sich nun selbstständig und wird unter anderem als Präsident von Ferien Graubünden wirken. Welchen Rucksack muss sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin mitbringen? Darüber gibt es in der Branche bereits relativ klare Vorstellungen (siehe Zweittext).
Aber nicht bei allen: So sagt Professor Christian Laesser von der Uni St. Gallen, er möge derzeit zu diesem Thema keine Stellung nehmen, «da beim Bund die Entwicklung einer Tourismusstrategie läuft, welche sodann wohl auch Implikationen auf Schweiz Tourismus hat».
Man dürfte aus diesen Worten des Titularprofessors mit Schwergewicht Tourismuswirtschaft schliessen, dass die Erneuerung der Tourismusstrategie mit dem Rücktritt von Jürg Schmid begründet wird, datiert doch die aktuelle Strategie aus dem Jahr 2010 und ist somit erst sieben Jahre alt.
Wegen der Digitalisierung
Das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verneint jedoch: «Die Ausarbeitung der neuen Strategie hat nichts mit dem Abgang von Direktor Jürg Schmid zu tun.» Strategien würden regelmässig überarbeitet und den neuen Gegebenheiten angepasst. «Wir erachten die Erneuerung der Tourismusstrategie insbesondere aufgrund des sich rasch wandelnden Umfelds als notwendig. Dies gilt vor allem für die Thematik der Digitalisierung, welche markant an Bedeutung gewonnen hat.»
Insbesondere Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) scheint in Sachen Digitalisierung Druck zu machen. «Für ihn ist Digitalisierung ein geflügeltes Wort», konstatiert Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VÖV). Stückelberger selber hält die Diskussion um die Digitalisierung zwar für wichtig, man dürfe aber nicht so tun, als ob der ganze Erfolg des Tourismus nur davon abhängig sei.
Die Digitalisierung sei ein langfristiger Prozess, der auch schon 2010 – bei der Erarbeitung der aktuellen Tourismusstrategie – in voller Fahrt war. Bei dem man aber nicht wisse, wohin er führen werde. So ist es laut Stückelberger nicht falsch, die Tourismusstrategie auch punkto Digitalisierung neueren Erkenntnissen anzupassen.
Der Franken drückt
Für Barbara Gisi, Direktorin beim Schweizer Tourismus-Verband, ist die Anpassung der Strategie nicht nur nicht falsch, sondern notwendig. Und zwar «wegen der sich überschlagenden Realität der Digitalisierung». Sie denkt dabei an all die Buchungsplattformen, ein neueres Phänomen, das es vor sieben Jahren zwar schon gab, das aber noch nicht die Bedeutung von heute hatte. Plattformen wie Booking.com stellen nur die Technologie zur Verfügung und agieren als Intermediäre, verdienen jedoch laut Barbara Gisi am Tourismus kräftig mit, ohne effektiv touristische Leistungen zu erbringen.
Für Ueli Stückelberger hingegen sind die Weichenstellungen im alpinen Tourismus wichtiger. Er erhofft sich von der neuen Strategie eine stärkere Unterscheidung zwischen alpinem und städtischem Tourismus. «Sie haben völlig unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen», meint Stückelberger. Der alpine Tourismus leide sehr stark unter dem starken Franken, ein Phänomen, das den Städtetourismus weniger tangiere.
Auch Casimir Platzer findet Gefallen daran, dass der Bund eine neue Tourismusstrategie erarbeitet. Auch er wegen des starken Frankens. «Die Situation hat sich seit 2010 grundlegend verändert», hält der Präsident von Gastro Suisse fest. Als Hotelier in Kandersteg weiss er, wovon er spricht. Schweizweit sei die Zahl der Logiernächte in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Doch es gab grosse Verschiebungen. Neue Herkunftsmärkte wie Indien, China, Südkorea und der arabische Raum boomen.
Davon profitieren vor allem die grossen Zentren, kaum aber die alpinen Regionen. Zudem gerieten grosse Märkte ins Rutschen. «Von 2008 bis 2015 sind die Übernachtungen von deutschen Gästen um fast 40 Prozent gesunken.» Derzeit ist der Franken zwar wieder schwächer geworden, das weiss auch Platzer, «aber das vermag den Kessel nicht zu flicken», sagt er.
Der Berner sieht es anders
Harry John wiederum kann der Idee einer Trennung von alpinem Tourismus und Städtetourismus nichts abgewinnen, insbesondere nicht in einem so kleinen Land wie der Schweiz. Die beiden Bereiche seien komplementär und würden sich ergänzen, sagt der Direktor der BE Tourismus AG, der Dachmarketingorganisation des Kantons Bern. Somit ist seine Haltung keine Überraschung: Harry John war massgeblich daran beteiligt, dass das Berner Oberland nicht mehr als selbstständige Tourismusregion daherkommt und Bern nun als eigenständiger Tourismuskanton in Erscheinung tritt.
«Geistige Windstille»
So wie Casimir Platzer erachtet auch Urs Kessler, CEO der Jungfraubahnen, die langfristige Stagnation der Logiernächte als bedenklich. Vor allem auch deshalb, weil der Tourismus einen globalen Wachstumsmarkt darstellt. Doch wichtiger als die Frequenzen sei der Ertrag. Dazu gebe es jedoch keine verlässliche Messgrösse. Im Unterschied zu Platzer hält aber Kessler wenig von einer neuen kurzfristigen Strategiewende im Tourismus. «Vor lauter operativer Hektik herrscht dafür zu oft geistige Windstille», sagt er. Strategien müssten langfristig ausgerichtet sein.
Ökonomie der Plattformen
Es gibt Leute, die die Meinung vertreten, Schweiz Tourismus müsse eine Buchungsplattform betreiben, bei der man direkt buchen könne. Von dieser Idee halten die Experten wenig: «Erstens zu spät, zweitens zu teuer, und drittens lässt sich zu wenig bewirken», sagt Harry John von BE Tourismus. Die Digitalisierung werde im Silicon Valley vorgegeben. Die Devise müsse vielmehr lauten: «Anpassen und mitgehen.» Und selbstverständlich braucht der neue Chef von Schweiz Tourismus eine Affinität zur digitalen Welt. «Er muss nicht programmieren können, aber er muss die neue Ökonomie der Plattformen kennen und verstehen», sagt Barbara Gisi vom Tourismus-Verband.
Zur Erinnerung: Jürg Schmid war vor seiner Ernennung zum Direktor von Schweiz Tourismus bei der Oracle Corporation tätig, dem weltweit zweitgrössten Softwareunternehmen, zuständig für Verkauf und Marketing in der Schweiz. Aus heutiger Sicht eine ideale Voraussetzung. (Berner Zeitung)
Erstellt: 09.08.2017, 12:00 Uhr
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